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VW-Geschichte 7



Hartz 4 ist heute in Deutschland leider kein unumstrittener Begriff. Gegründet ist dieser auf Peter Hartz, den Piëch 1993 aus der saarländischen Stahlbranche abwirbt und zum Arbeitsdirektor macht. Das leitet die zweite große Reform nach der Rationalisierung bei den VW-Einkäufen durch Lopez ein. Inzwischen ist Peter Hartz fast zur Unperson erklärt worden. Das hängt mit der durchaus nicht zurückhaltenden Ankündigung von ihm und dem damaligen Bundeskanzler Schröder 2002 im französischen Dom in Berlin zusammen, die Arbeitslosigkeit mit einem neuen Konzept zu beseitigen. Hartz stammt aus kleinen Verhältnissen im Saarland und ist nach dem Studium zum Betriebswirt und einer erfolgreichen Karriere als Arbeitsdirektor in den Vorstand der Saarbergwerke aufgerückt. Hier sind durch die Stahkrise 50.000 Arbeitsplätze bedroht. Durch geschickte Vermittlung zwischen Unternehmen und Gewerkschaften schafft es Peter Hartz, die Belegschaft von 1975 bis 1993 von 39.000 auf 11.000 ohne Entlassungen zu reduzieren.

So wird auch Ferdinand Piëch auf Hartz aufmerksam. Der VW-Konzern hat zu dieser Zeit sehr ernste Sorgen, steht wegen dramatischem Einbruch der Absatzzahlen kurz vor der Insolvenz. Noch schlimmer, man hat offensichtlich 30.000 Arbeitnehmer zu viel, die man aber schon deshalb nicht entlassen kann, weil man das Geld für die Abfindungen nicht hat. Hartz entwickelt zusammen mit den Gewerkschaften ein neues, bisher in dieser Ausprägung nicht gekanntes Modell, 28,8 Wochenstunden an vier Tagen ohne Lohnausgleich, obwohl das Werk an fünf Tagen produziert. VW wird zum 'atmenden' Unternehmen, der Spareffekt wirkt quasi sofort.

Allerdings macht der neue Arbeitsdirektor nicht alles richtig. Er muss vielleicht zu viel Rücksicht auf die Beziehungen zum eigenen Betriebsrat nehmen, dessen Chef Klaus Volkert er durch Sonderbonus-Zahlungen und Vergünstigungen für die brasilianische Geliebte zu sehr entgegenkommt. In diesem Zusammenhang muss man die besondere Situation bei VW bedenken, wo es schon immer eine innige Beziehung zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat gab. Nordhoff nannte einst seine Arbeiter 'Arbeitskameraden'. Auch unter Piëch ist der Betriebsratsvorsitzende in die Aktionen des Vorstands einbezogen, benutzt alle Hilfsmittel einschließlich Flugbereitschaft, hilft aber auch bei besonderen Problemen mit dem Arbeitsfrieden in anderen Ländern. Hartz nennt das eine 'wertschöpfende Mitbestimmung', Lobeshymnen über die Entwicklung des Konzerns, die sich die IG-Metall ebenfalls anheftet. Man darf zweifeln, ob zum Beispiel der Zukauf der vielen Töchter damals wirklich mit den ausdrücklichen Wünschen der Arbeitnehmer-Vertreter geschah, oder ihnen eher gegen Vergünstigungen abgekauft wurde.

Heute jedenfalls profitiert der Konzern von seinem weltweiten Engagement, kann Krisen wie die in Südeuropa scheinbar spielend ausgleichen. Wer 'Schuld' an dem heutigen Erfolg von VW ist, wird man wohl nie ganz klären können. Es gibt übrigens noch einen anderen Grund für Konzernaktivitäten. Die Stadt Wolfsburg wird von der Krise ebenfalls mit 18 Prozent Arbeitslosigkeit voll erwischt. Mit 60 Prozent der Arbeitsplätze ist die Stadt zu sehr vom Werk abhängig. Andere Bereiche wie der Dienstleistungs- und der Zuliefererbereich sind unterdurchschnittlich vertreten. Letztere werden 'gebeten', ihre Aktivitäten näher ans Werk zu verlegen. Eine Personal-Serviceagentur mit Platz für 80 Unternehmensgründer entsteht. Die Autostadt wird geplant, die das Abholen eines Neuwagens ab 2000 zum Erlebnis macht und schon bald die ganze Branche zu ähnlichen Taten (Museen und Erlebniswelten) verleitet. Für dieses und andere 'Geschenke' an die Stadt Wolfsburg zu deren 60. Geburtstag 1998 ist übrigens auch Peter Hartz verantwortlich. Dazu gehören auch ein neues Stadion und die Meisterehren des VfL.

Zum Umgang von Hartz mit den entscheidenden Kräften im Betrieb und deshalb auch mit dem Betriebsrat gehören wohl die zahlreichen Vergünstigungen der einzelnen Betriebsratsmitglieder. Letzten Endes gibt es wohl keinen Betriebsratsvorsitzenden in Deutschland, der mehr verdient als der von VW. Nach und nach werden Lustreisen nicht nur der VW-Bediensteten selbst und Geschenke subventioniert. Piëch ist im Zusammenhang mit dem Wolfsburger Klüngel allerdings nichts nachzuweisen. Er bleibt lediglich Zeuge in einem Teil der Prozesse. 2001 entsteht ein weiterer Lösungsansatz für ein Hochlohnland. VW kündigt an, den neuen Touran (Bild oben) im Ausland bauen zu wollen. Daraufhin entsteht die Auto 5000 GmbH, bei der 5000 neue Arbeitskräfte je 5000 Euro brutto verdienen sollen, allerdings abhängig von der Zahl der gefertigten Autos. Obwohl die Zahl nie erreicht wurde, ist das Modell trotzdem ein voller Erfolg. Es wird im Laufe der Zeit auf den Tiguan ausgeweitet und 2009 werden alle Arbeitnehmer als Werksangehörige übernommen. Peter Hartz erlebt diese Erfolgsgeschichte der Auto 5000 bei VW nicht mehr. Er wird 2002 zum Vorsitzenden einer Kommision berufen, die für die Bundesregierung Vorschläge zur Verbesserung der Vorgänge auf dem Arbeitsmarkt machen soll. Diese werden dann Hartz 1 bis 4 genannt, wovon der letzte von der Regierung übernommen wird und zu viel Kritik an ihrem Namensgeber führt. Der macht es sich selbst zum Vorwurf, eine Halbierung der Arbeitslosigkeit angekündigt zu haben, was erst viel später erreicht wird.

Piëch erweist sich als Sanierer und Förderer. Letzteres z.B. durch Hinzukauf von Marken oder auch nur deren Namen: Bentley mit der legendären Rolls-Royce-Produktionsstätte in Crewe, Bugatti mit dem wieder aufgenommenen Bau eines Super-Sportwagens in Molsheim, Lamborghini an der Seite von Audi und die gläserne Fabrik in Dresden zur Endfertigung des Phaeton. Gut verläuft auch die Sanierung in Mexiko, während bei Seat zwar eine Menge passiert, aber das Werk bis heute (2012) noch nicht aus den roten Zahlen ist.

Im Zusammenhang mit den vielen Übernahmen entsteht ein Konzept, das bis dahin beispiellos ist und auch wohl nur dem heutigen Autokäufer mit einem sinkenden Interesse für die eigentliche Technik seines Fahrzeugs zu verkaufen ist. Man gibt einer ganzen Kategorie nicht nur die gleichen Motoren, sondern die komplette Plattform, alles was zum Betrieb nötig ist. Daher stammt auch der Name 'Plattform-Konzept'. Unterschiedlich bleiben nur die 'Hüte', wie Piëch sie nennt, also die äußere Blechhülle und das Innenraumdesign. Dabei können sogar Schalter und Griffe noch gleich sein, wenn man es nur geschickt genug anstellt. Insgesamt werden dadurch natürlich unglaublich viele Entwicklungs- und Produktionskosten gespart.

Wenn man genauer hinschaut, ist Piëchs Interesse an großen und mit viel Technik versehenen Limousinen, z.B. dem Phaeton, stärker als an den Produkten am anderen Ende der Skala. Trotzdem setzt er auch hier Pflöcke, wenn auch nicht nachhaltig genug. Schließlich werden in Wolfsburg in Handarbeit künstliche Drei-Liter-Autos komplettiert und sind weder für das Werk noch für die zukünftigen Besitzer einigermaßen kostentragend. Das einzig vernünftige Produkt, der viersitzige Aluminium-A2 mit ähnlicher Technik, scheitert bei dem relativ hohen Preis, an seinem Design und der mangelnden Weiterentwicklung.

Trotzdem gönnt sich Ferdinand Piëch auch gegen Ende seines Vorstands-Vorsitzes 2002 keine Pause und steuert ein zigarrenähnliches Gefährt mit Einzylinder-Diesel im April ohne Heizung nach Hamburg mit einem Durchschnittsverbrauch von 0,89 Liter/100km. Da sieht man, wozu Technik fähig wäre, wenn man sie denn bezahlen könnte. Was wir allerdings brauchen ist mehr, ein Auto, das bei aller Sparsamkeit uns möglichst wenig einschränkt und weder bei der Anschaffung, noch bei den Reparaturen für den Normalverbraucher unüberwindbare Hürden auftürmt. Davon sind wir, so fürchte ich, noch meilenweit entfernt.

Große Fehlgriffe bei der Übernahme fremder Firmen, wie BMW bei Rover und Daimler bei Chrysler, sind VW erspart geblieben. Die gescheiterte Übernahme des Markennamens Rolls-Royce wird Ferdinand Piëch angekreidet. Ein besonderer Treffer seines Vorgängers ist wohl Škoda, was dem Konzern viel Akzeptanz im Osten und große Erfolge nach dem Fall des Eisernen Vorhangs bringt. Leider ist das mit den Töchtern auch im Leben so eine Sache. Seat, etwa zur gleichen Zeit erworben, beginnt schon recht früh trotz viel investiertem Geld zu schwächeln. Piëch erkennt den Fehler mangelnder Kontrolle, lässt auch mit Gewerkschaften und Regierung in Spanien verhandeln, kann aber bis zum Ende seiner Amtszeit die Tendenz nicht wirklich umkehren.








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