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 Kindheit und Jugend



De Dion & Bouton, Einzylinder, 864 cm35,9 kW (8 PS) bei 1500/min, Frontmotor, Hinterradantrieb, Kardanwelle, 340 kg, 60 km/h, 1903. Geboren ist Enzo Anselmo Ferrari kurz vor der Jahrhundertwende 1898, 12 Jahre nach der Geburt des Automobils. Er ist mittelständisch in Modena aufgewachsen, 50 Kilometer nordwestlich von Bologna (Norditalien) und dort übrigens auch 90-jährig gestorben. Seine Autos haben nicht nur während der Rennen die weitaus größeren Strecken ohne ihn zurückgelegt.

Der Vater betreibt eine Werkstatt zur handwerklichen Bearbeitung von Metallen, vielleicht als Schlosserei oder Schmiede zu bezeichnen. Es ist die 'Officina Meccanica Alfredo Ferrari', ein Betrieb mittlerer Größe mit 15 bis 30 Mitarbeitern, von denen Enzos Vater alles das erledigt, was seine Angestellten nicht machen oder können.

Ach ja, die Firma, nahe der Eisenbahn, stellt Gangways und metallene Häuschen für die Bahn her. Man darf in dem nicht gerade reichen Italien zur Jahrhundertwende von einem bescheidenen Wohlstand ausgehen. Enzo hat einen zwei Jahre älteren Bruder und sollte wohl eigentlich eine Tochter werden.

Enzo Ferrari selbst muss zu Zeiten späterer Berühmtheit unbedingt einem Hang zum Geschichtenerzählen erlegen sein. Wie sonst ist zu erklären, dass überall zu lesen ist, an den Tagen seiner Geburt habe so viel Schneestürme gegeben, dass man ihn erst zwei Tage später habe anmelden können.

Ferrari, der Mann mit den zwei Geburtsdaten, denn in Italien gilt damals offiziell nur der Tag der Anmeldung. Allerdings kann man zu Zeiten des Internets auf den italienischen Wikipedia-Seiten nachlesen, dass die vom Geophysikalischen Observatorium der Universität von Modena und Reggio Emilia herausgegebenen Wetterdaten mit Temperaturen zwischen -1,8°C und +10,8°C eine solche Darstellung nicht ganz stützen. Vielleicht ist die Anmeldung des kleinen Enzo schlicht etwas verschlafen worden.

Wir befinden uns also in einer Vorortsiedlung von Modena. Die Familie lebt im kleineren Teil des Hauses, oberhalb der Werkstatt. Enzo teilt sich mit seinem Bruder das Kinderzimmer, angeblich ohne Heizung. Er wird später berichten, wie sie morgens von dem geschäftigen Treiben in der Werkstatt geweckt wurden.

Der Bruder heißt wie der Vater Alfredo mit Vornamen, nicht ganz unwichtig für die Haupt-Lebenslinie von Enzo. Denn auch sein schon früh verstorbener Sohn hat diesen Vornamen. Die Koseform von Alfredo ist 'Alfredino', was die Gedanken auf ganz bestimmte spätere Fahrzeuge lenkt. Doch davon sind wir noch weit entfernt.

Jede Menge Ferraris …

Ach ja, wenn wir schon einmal bei Namen sind. Uns mag der Familienname 'Ferrari' fremd klingen. Aber in Modena ist genau das Gegenteil der Fall. Dort zählt der Name zu den häufigsten, übrigens auch heute noch. Man muss schon Enzo davor setzen, wenn man etwas über den nach dem jeweiligen Papst woh berühmtesten Italiener erfahren will.

Obwohl sehr beschäftigt, wird der Vater als kulturell sehr intessiert beschrieben. Bevor wir zu den Autos von Vater Ferrari und seinem Interesse für Autorennen kommen, hier noch ein Wort zum Italien der Jahrhundertwende. Es ist als Staat gerade einmal 30 Jahre alt und daher eher mit Deutschland vergleichbar. Ein Gegensatz dazu wäre das schon Jahrhunderte existierende Frankreich.

Ganz anders als Deutschland hätte es aber in Italien eine feste geografische Zuordnung im natürlichen Grenzen gegeben. Mit Sicherheit hat die Anwesenheit eines Kirchenstaates ziemlich in der Mitte der italienischen Halbinsel dazu beigetragen, dass Italien immer wieder in den Zugriff ausländischer Mächte gerät.

Die Einigung Italiens wird begünstigt durch die Mitte des 19. Jahrhunderts (z.B. 1848 Frankfurter Paulskirche) erwachende europaweite Forderung nach politischer Mitwirkung, in Italien 'Risorgimento' genannt. Freischaren sind von Freiwilligen aus vielen Teilen Italiens gebildete Gruppen, die unter Leitung Garibaldis oft Siege gegen weit überlegene reguläre Truppen erringen.

Die industrielle Revolution z.B. mit dem Bau der Eisenbahnen wird ihren Einfluss gehabt haben, mit allerdings eher gegenteiligem Interesse von Frankreich und Österreich-Ungarn. Der Papst und sein Staat stehen auch nach der Gründung des Einheitsstaates 1870 diesem im Wege. Der Konflikt belastet das neue politische Gebilde Italien schwer.

Italien ist und bleibt das Land großer Gegensätze. Nicht nur beim sich langsam industrialisierenden Norden und dem bettelarmen, durch massenhafte Auswanderung zusätzlich entkräfteten Süden. Erst seit 1882 sind Reformen wie z.B. die allgemeine und kostenlose Schulpflicht in Kraft, sehr nötig bei angeblich über 40 Prozent analphabetentum. Jedoch sind nur knapp 7 Prozent der Bevölkerung wahlberechtigt.

Das Frauenwahlrecht wird in Italien auch nach der nächsten Wahlrechtsreform 1912 nicht eingeführt. Gegensätze auch zwischen Großindustriellen im Norden bzw. Großagrariern im Süden einerseits und Arbeitern ohne Landrechte andererseits. Am besten zeigt sich bis heute die Zerrissenheit zwischen den 1906 gegründeten christlichen und den sich schon früh organisierenden sozialistischen Gewerkschaften.

Außenpolitisch ist man bis 1915 bzw. 1916 mit Österreich-Ungarn und Deutschland verbündet und in einem Handelskrieg mit Frankreich bis kurz vor der Jahrhundertwende. Es ist eine turbulente Zeit, in die Enzo Ferrari hineingeboren wird. Im gleichen Jahr gibt es im knapp 200 km entfernten Mailand einen Generalstreik. Zwei Jahre später wird der König ermordet.

Er selbst wird als ganz normaler Jugendlicher mit einer vermutlich glücklich zu nennenden Kindheit bezeichnet. Das Schicksal wird noch früh genug über ihn hereinbrechen. Der Vater nennt schon 1903 ein Auto namens De Dion Bouton sein eigen. Wenig später kommen noch zwei hinzu. So sehr arm kann die Familie also nicht gewesen sein, denn Autos sind zu der Zeit ausgesprochen rar, auch wenn sie nur einen Zylinder haben.

Ganz oben sehen Sie einen DeDion & Bouton von 1903. Der hat knapp 900 cm³ und bringt den Wagen auf 60 km/h, vielleicht ein Grund, warum der Vater schon bald zwei weitere Autos besitzt. De Dion & Bouton ist auch zu diesem Zeitpunkt eine sehr eingesessene Firma. Sie hat vor der Zeit der Verbrennungsmotoren Fahrzeuge mit Dampfantrieb produziert. Dem entsprechend wird sie 1909 der Welt den ersten V8-Motor präsentieren.

Das Rennen von 1908 besucht der Vater mit seinen beiden Söhnen, vermutlich mit vielen anschließenden Debatten zwischen ihm und dem älteren. Hier werden Rundendurchschnitte von über 130 km/h und Renndurchschnitte von fast 120 km/h gefahren. Im Gegensatz zu heute ist Fiat eine das Renngeschehen mit dominierende Marke. Die Drehzahlen der Motoren wachsen nur langsam, die Hubräume umso schneller. Jenseits der 20 Liter wird man so etwa ab 1920 stoppen und lieber auf leichtere Motoren mit höherer Drehzahl setzen.

Dass aus der Betrachtung von Renngeschehen eine Faszination werden würde, ist bei Enzo Ferrari zu der Zeit wohl noch nicht abzusehen. Auch von den späteren Qualitäten wie z.B. die Art; wie er mit Leuten umgehen kann, ist noch wenig zu spüren. Allerdings mag die spätere Aussage Ferraris, er hätte nur einfacher Arbeiter werden wollen, so auch wieder nicht zutreffen.

Im Gegensatz zu seinem Bruder ist er zwar keine Leuchte in der Schule, wohl aber so sportbegeistert, dass er Artikel über Fußballspiele in größere Gazetten lancieren kann. Auch eine Karriere als Operntenor habe er sich vorstellen können. Und als letztes erwähnt er das Anstreben einer Anstellung als Rennfahrer. Vom Organisator von Rennställen ist noch keine Rede.

Vielleicht sogar erklärbar. Die Welt um ihn herum ist noch nicht so weit. Wenn jemand wie Enzo Ferrari sich besonders entwickelt, dann ist das immer das Ergebnis besonders günstiger Fügungen. Neben Talent müssen auch die Randbedingungen stimmen. Dazu kann sogar ein Zweiter Weltkrieg, so schlimm er auch war, seinen Beitrag geleistet haben.







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