Erwachsen werden
Man muss sich Modena als Mittelstadt im Norden eines noch immer deutlich agrarwirtschaftlich orientierten Landes mit wenigen industriellen Zentren vorstellen. Entfremdete Katholiken mit der Forderung
nach Wiedererrichtung des Kirchenstaates stehen religionslosen Linken gegenüber, die langsam beginnen, sich zu einer Arbeiterbewegung zu formieren.
Der Konflikt zwischen Arbeitgebern und -nehmern wird im 20. Jahrhundert und besonders zwischen den Kriegen in Italien härter als in anderen Ländern ausgetragen werden, mit fast bedingungsloser
Ausbeutung der einen und Ausschreitungen, die während eines Streiks z.B. auch die gewaltsame Festsetzung eines Vorstandes in der Fabrik nicht ausschließen.
Auch außenpolitisch agiert Italien gegensätzlich. Auf eine gewisse Aussöhnung mit Frankreich folgen erbitterte Konflikte mit Österreich-Ungarn, die den Kriegs-Eintritt von Italien ein Jahr nach Beginn des
Ersten Weltkriegs 1915 auf der Seite der Alliierten zur folge haben. Der Verlauf des Krieges hätte dem Land fast eine Niederlage beigebracht. Erst 1918 entscheidet sich der Verlauf zugunsten Italiens.
Die Pariser Friedenskonferenz verläuft trotzdem nicht wie erhofft. Man gewinnt zwar Südtirol und einige Gebiete entlang der Nordküste der Adria, hatte sich aber bedeutend mehr im weiteren Verlauf dieser
Küste erhofft. So gehört Italien zwar im Ersten Weltkrieg zu den Siegermächten, kann aber nur wenig Kapital daraus schlagen.
Von dem Vater werden wir noch hören, obwohl er während des Krieges verstirbt, genauso wie Enzos Bruder, allerdings beide durch Krankheit und nicht im Kampfeinsatz. Enzo ist anfangs noch zu jung für
den Krieg, sucht sich Arbeit angesichts einer darnieder liegenden Firma nach dem Tod des Vaters.
1917 wird auch er eingezogen, ist in den Bergen im Kampf gegen die Österreicher stationiert und beschlägt Mautierhufe. Auch sein Schicksal wird nicht durch den Verlauf von Kampfhandlungen sondern von
Krankheit bestimmt. Er zieht sich eine Rippenfellentzündung zu, entkommt aber immerhin dem Weltkrieg im Gegensatz von Millionen anderen lebend. Die Krankheit wird ihn wohl sein Leben lang begleiten.
Nach unvollkommener Genesung folgt die Suche nach einer Anstellung. Das Ziel ist die Firma Fiat, die im Krieg gut verdient hat und jetzt auf Friedensproduktion umschalten muss. Aber trotz eines
Empfehlungsschreibens eines Armee-Vorgesetzten hat er keine Chance. Die Ablehnung trifft ihn schwer, zumal in der Lebenssituation, in der er sich befindet.
Ferrari bleibt in Turin, wird hier für Jahre sesshaft sein, trotz Ablehnung von Fiat. Es wird eine gewisse Rache geben, aber zunächst versucht er mit dem angeblich schmalen Erbe seines Vaters
zurechtzukommen. Ohnehin gesellig und irgendwie Leute für sich einnehmend tut er das einzig Richtige, er lässt sich hauptsächlich dort sehen, wo sehr viel 'Benzin' geredet wird, scheinbar auch eine
willkommene Ablenkung vom Geschehen bisher. Aber obwohl der Entschluss zum Versuch einer Karriere als Rennfahrer offensichtlich gefasst ist und in den nächsten zehn Jahren immer wieder aufflackern
wird, ist jetzt erst einmal Geldverdienen angesagt.
Immerhin hat es mit Autofahren zu tun. Für ein Unternehmen in Bologna testet und überführt er ausgeschlachtete Chassis von leichten Armee-Lastwagen nach Mailand, wo ein Karosseriebetrieb ihnen eine
neue Hülle verpasst und sie als Pkw verkauft werden können. Im weiteren Verlauf werden nicht nur in Italien berühmte Leute in Zusammenhang mit ihm auftauchen.
Der erste ist Marco Garelli, seit 1919 bestehender Hersteller von Zweirädern. Eine wichtige Rolle wird Ugo Sivocci spielen, der als Rennfahrer, vom Zwei- aufs Vierrad umsteigt. Er ist Chef-Tester bei
Construzioni Meccaniche Nazionalia, einem gerade erst aus dem Konkurs eines anderen Unternehmens entstandener Autobauer. 1919 zieht er Enzo Ferrari mit in das Renngeschehen, erst
als Test-, dann als Rennfahrer.
Noch im selben Jahr erlebt er sein erstes Rennen auf einem weniger konkurrenzfähigen Wagen. Aber der junge Ferrari macht seine ersten Erfahrungen. Normale Straßen sind abgesperrt, bei Bergrennen
besonders marode und gefährlich. Immerhin hält der Wagen samt Ferrari bis zum Ende durch. Antonio Ascari gewinnt. Aber das hier ist offensichtlich nicht zu vergleichen mit der berühmt-berüchtigten
Targa Florio.
Hierhin verschlägt es Sivocci und Ferrari nach einer abenteuerlichen Fahrt auf eigener Achse, sie sind eigentlich zu spät für die Fähre nach Sizilien und schaffen dennoch den Beginn des Rennens. Je öfter
die Teilnahme, desto besser die Ortskenntnis. Immerhin ist die Strecke gerade 1919 von 148 auf 108 km verkürzt worden. Sie muss vier Mal durchfahren werden.
Alfa 40/60, 6,1 Liter, R4, OHV |
Immerhin sind wieder Antonio Ascari und der spätere Sieger André Boillot mit am Start, auch Giuseppe Campari auf Alfa Romeo 40/60 (Bild oben), der in Parma 1920 gewonnen hat und von dem wir noch
hören werden. Ferrari hat mit seinem Monteur Berretta das Pech, vom Auftritt eines Politikers aufgehalten zu werden und dadurch nur drei Runden zu schaffen. Jedoch erreichen sie nach Protest angeblich
noch den neunten Platz in der Gesamtwertung, werden Dritte ihrer Klasse.
Fiat S 57/14b, 4,5 Liter, R4, 99 kW (135 PS), 145 km/h |
Ferrari verlässt die Fa. CMN, die im Übrigen auch nur bis 1923 existiert. Neues Jahr, neues Glück beim selbigen Bergrennen bei Parma. Zum ersten Mal im zumindest teilweise eigenen Isotta Fraschini von
1912, 6,2 Liter, 61 kw (83 PS) bei 1800/min, ebenfalls schon mit Vierradbremsen wie die obigen zwei, und mit neuem Mechaniker. Er wird Dritter im Gesamtklassement und zweiter in seiner Klasse hinter
Campari und schließt Freundschaft mit diesem. Giuseppe Campari, nebenbei auch Opernsänger. Weitere Erfolge mit dem neuen alten Wagen blieben allerdings aus.
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