Fahrwerk - Motorrad 1
Die Fahrwerke von ein- und zweispurigen Fahrzeugen unterscheiden sich prinzipiell. Das wird schon bei der Erfassung des Radstandes deutlich. Ist der z.B. bei Vierradlern relativ fix, kommt es bei Zweirädern
sehr auf die Belastung an, wie man oben im Bild gut erkennen kann. Sehen Sie das Schrumpfen des Radstandes, schon wenn es mit nur einer Person besetzt ist?
Ein Zweirad hat zwar bedeutend weniger Zuladung, allerdings viel im Vergleich zu seinem Eigengewicht. Schon, wenn diese voll ausgenutzt wird, muss man praktisch von anderen Verhältnissen beim Fahrwerk
ausgehen. Dieser Situation wird bei dessen Konstruktion Rechnung getragen.
Verursacher der enormen Veränderungen beim Radstand ist auf dem Bild oben hauptsächlich die Lenkachse. Denn die entsteht im Abstand oder entlang der Mittellinie von Federung/Dämpfung, während für die
Veränderung des Hinterrades nach vorne bzw. hinten die Schwinge zuständig ist. Die Neigung der vorderen Lenkachse zur Waagerechten oder Senkrechten wird 'Lenkkopfwinkel' genannt.
Kaum ein Wert innerhalb des Fahrwerks eines Zweirades hat neben dem Radstand so viel Einfluss auf die Fahreigenschaften wie der Lenkkopfwinkel. Das vereinfacht aber auch die physikalischen Bezüge im
Gegensatz zum Vierradler, der sich mit Wank-, Nick- und Gierachse auseinandersetzen muss. Nachlauf entsteht auch hier, wenn die Lenkachse den Boden vor der Mitte der Aufstandsfläche trifft.
Wanken gibt es in dem Sinne gar nicht, Gieren nur begrenzt. Einzig Nicken ist ein wichtiges Thema, weil bei vielen Zweirädern auch sehr ausgeprägt. Bleiben wir aber beim Lenkkopfwinkel. Je größer der ist,
um so mehr Neigung hat das Zweirad, seine Geradeausfahrt fortzusetzen. Freihändiges Fahren wäre z.B. ohne diesen Winkel bzw. einen gewissen Nachlauf nicht möglich.
Ein längerer Radstand tut sein Übriges. Mit beiden verbunden sind der größere Wendekreis und die Zunahme des erforderlichen Lenkeinschlags. Aber nicht nur die Einleitung einer Kurvenfahrt ist beim Zweirad
völlig anders, nämlich durch einen kurzen Lenkeinschlag nach außen, auch spielen viel mehr Aggregate für das Fahrverhalten eine Rolle.
So wird bei der Aufhängung des Motors in der Regel nur dann auf die Dämpfung von Schwingungen geachtet, wenn diese besondere Probleme bereiten. Die mögliche Versteifung des Rahmens hat hier meist
Priorität. Auch ist der Aufwand zur Gestaltung eines lenkbaren Vorderrades größer, klassisch z.B. mit zwei verbundenen, drehbar gelagerten Gabelbrücken und ebenfalls zwei sogenannten Standrohren.
Hinten wird es mit ein- oder zweiarmigen Schwingen einfacher. Hier sind dann auch Radführung und Federung/Dämpfung voneinander getrennt. Es gibt hinten zwei oder eine davon, aber fast immer eine
Kombination davon. Bei der einarmigen Schwinge unten ist natürlich nur ein zentrales Feder-/Dämpf-Element sinnvoll.
Mit 'Teleskop' betont man die Verschiebbarkeit innerhalb der Standrohre. Betrachtet man diese im Verhältnis zu den einfederbaren Gleitrohren, dann wird rasch klar, dass die dazu nötigen Kräfte je nach Fahrsituation
unterschiedlich sind. Je mehr sich die (Quer-) Belastung auf jeweils die beiden Rohre auswirkt, desto schwerer lassen sie sich gegeneinander verschieben.
Bei Telegabeln kann diese im Fahrbetrieb spürbar sein, indem sich die Federung verhärtet oder plötzlich eine stärkere Dämpfung vorherrscht. Die dazu nötigen Komponenten sind übrigens gut geschützt in die
Rohre integriert. Oft agieren Stand- bzw. Gleitrohr parallel zur Lenkachse, sodass diese auch hier abgegriffen werden kann.
Gut beobachten lässt sich das Einfederverhalten bei Fahrzeugen für Rallyes in schwierigem Gelände. Hier ist der nutzbare Hub solcher Telegabeln besonders groß. Wie gut, dass es hier recht grobschlächtig
zugeht, denn sonst würde man deutlich die vermehrte Reibung zwischen den beiden Rohren besonders dann spüren, wenn das Gleitrohr weit ausgefahren ist.
Es gilt also, das Ansprechverhalten von Federung und Dämpfung von Teleachsen zu beachten. Da kann schon eine geringere ungefederte Masse des Gleitrohres etwas helfen, während das Standrohr
belastungstechnisch günstiger aus Stahl gefertigt wird. Gegen zu großen Verschleiß bei Belastung hilft auch ein möglichst großer Abstand der beiden Gleitbuchsen zwischen Stand- und Gleitrohr. Die Achse
für das Vorderrad wird oft vor die Telerohre montiert und diese nach unten verlängert.
Für die Aufnahme der beschriebenen Kräfte besser geeignet ist ein Standrohr außen und Gleitrohr innen. Diese, 'Upside-down'-Gabeln genannt, sind allerdings auch aufwendiger. Die Bremse und das
Schutzblech sind immer an dem ungefederten Telegabelteil befestigt. Gibt es, wie bei Telegabeln, je eine Federung/Dämpfung links und rechts, müssen die natürlich exakt gleich gefertigt sein.
Hier sehen Sie, wie auch vorn nur ein solches Element vorhanden sein kann. Das Bild oben zeigt das Telelever-System von BMW. Die Lenkachse geht durch die Kugelgelenke der Telegabel ganz oben und
einem Dreiecks-Längslenker in der Mitte unten. Auf diesen Dreieckslenker wirkt ein zentrales, relativ kurzes Federbein, oben am Motorradrahmen drehbar befestigt.
Es gibt keinerlei Dämpfer bzw. Federn in der eigentlichen Teleskopgabel mehr, also viel Weg und Abstand zwischen den Gleitstücken. Denn das Einfedern geschieht nicht mehr nur durch Ineinanderschieben
der Telerohre, sondern auch durch die Ausweichbewegung des oberen, am Rahmen befestigten Kugelgelenks.
Der zur Waagerechten hin zu messende Lenkkopfwinkel wird dabei kleiner, die Lenkachse flacher, der Nachlauf beim Bremsen größer, was mehr Stabilität bringt. Außerdem wird die Wirkung von ABS weniger
von Nickschwingungen begleitet. Schlussendlich ist die gesamte Konstruktion zwar schwerer, aber die ungefederten Massen kleiner.
Die durch eher unberechenbares Verbiegen der Rohre sich ergebende Verhärtung von Federung und Dämpfung durch vermehrte Reibung beim Eintauchen wird jetzt eliminiert. Man kann ohne diese
Zusatzeffekte z.B. die Federung gezielt härter ansprechen lassen. Der stark dimensionierte, relativ tief angeordnete Längslenker fängt Fahrbahnstöße besser auf, sorgt für mehr Stabilität.
Einen draufgesetzt hat man mit dem Duolever-System. Hier fühlt man sich wirklich an die Vorderradaufhängung eines größeren Pkws erinnert, zwei Dreieckslenker, nur eben längs und nicht quer angeordnet.
Nur die Spurstangen haben dort viel mehr Platz als hier, was deren Aussehen stark verändert. Denn sie müssen auf diesem engen Raum auch noch die Einfederung überwinden.
Wie beim Vierradler ist der obere Querlenker kürzer als der untere, was wiederum den Lenkkopfwinkel ergibt. Was beim Lenken gedreht werden muss, hat jetzt eine geringere Masse. Ansonsten bleiben die
Vor- und Nachteile von Telelever: Stabilität durch den Längslenker unten, weniger Eintauchen beim Bremsen, aufwendige Konstruktion.
Was eine Telegabel nicht oder noch unzureichend kann, ist die kurzzeitige Verhärtung der Federung beim Bremsen, um den Taucheffekt zu mildern. Man nennt das auch beim Auto den 'Anti-Dive'-
Mechanismus. Hier gab es den auch z.B. bei stark motorisierten S-Klassen, um einen Taucheffekt an der Hinterachse bei starkem Beschleunigen zu mildern.
Das Bild zeigt eine zusätzliche Schwinge, die in diesem Fall als geschobene Schwinge bezeichnet wird. Wenn Sie sich jetzt eine unmittelbar an dieser Schwinge befestigte Bremszange vorstellen, dann wird
diese beim Bremsen von der Bremsscheibe in Drehrichtung des Rades mitgenommen. Dadurch dreht sich die Schwinge so, dass sie das Einfedern vorn zumindest zum Teil kompensiert.
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